Esperpento. Populärkunst und ästhetische Revolution

Vom 9. Oktober bis 10. März beherbergt das Sabatini-Gebäude (1. Etage) des Reina-Sofía-Museums eine Ausstellung rund um das Konzept des „Esperpento“ als ästhetischen Gedanken, der eine neue Perspektive für das Verständnis der Realität bieten kann. Die aus Dokumenten und verschiedenartigen künstlerischen Arbeiten bestehende Ausstellung untersucht die wichtigsten Themen und Strategien, die den von Valle-Inclán geprägten und auch heute noch aktuellen Esperpento ausmachen. 

Formuliert wurde der Begriff „Esperpento“ (dtsch.: Groteske) von Schriftsteller Ramón María del Valle-Inclán als Instrument zur kritischen Hinterfragung, als Reaktion auf die Rückständigkeit und moralische Hoffnungslosigkeit, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Spanien herrschten. Damit konfrontierte er die sozialen, politischen und kulturellen Zwänge des Landes mit distanziertem Blick und nutzte dazu eine Reihe ästhetischer Strategien, deren wichtigster Vertreter die Deformation war.

Die Ausstellung gliedert sich in acht Hauptbereiche:

• Vor dem Esperpento: Diese Rubrik über die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zeigt eine Auswahl damaliger satirischer Pressebeiträge, Gemälde und volkstümliche optische Gebilde als Vorläufer von Deformationstechniken.
• Visión de medianoche (Mitternachtsvision). Die bereits im 20. Jahrhundert angesiedelte Rubrik umfasst Werke rund um die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, Spiritualismus und veränderte Bewusstseinszustände als Anzeichen für eine sich auflösende Realität.
• Tablado de marionetas (Puppenspiel) und Martes de carnaval (Faschingsdienstag) vereinen Elemente und literarische Formen der volkstümlichen Tradition, mit denen Valle-Inclán seine Ablehnung der Machthaber offen anprangert.
• Luces de bohemia (Glanz der Bohème) enthält deutliche Bezugnahmen auf den Moment der gesellschaftlichen Umwälzung und die Dekadenz der Bohème, in der Valle-Incláns gleichnamiges Stück spielt.
• Retablos (Altarbilder) beleuchtet Künstler, deren Werke mit den Erzählungen des spanischen Schriftstellers in Einklang stehen, in denen sich Religiosität mit volkstümlicher Tradition vermischt, um Instinkte, Sünden und Passionen darzustellen.
• Tirano Banderas präsentiert die Verkörperung des Esperpento in der Gestalt des von Valle Inclán porträtierten Tyrannen, wie sie auch heute noch gültig ist - ein grotesker politischer Führer, die Degradierung eines Helden, in dem Grausamkeit, Arroganz und Angst brodeln.
• El ruedo ibérico (Die iberische Arena), ein Titel aus Valle-Incláns unvollendetem Romanprojekt, bildet den Abschluss der Ausstellung. Als Metapher für die Geschichte Spaniens dient eine große Stierkampfarena, in der Gewalt, Politik und Schauspiel die Spannungen im Vorfeld und als Auslöser des Bürgerkriegs darstellen.

Parallel zu dieser Ausstellung präsentiert das Ensemble Lagartijas tiradas al sol eine zeitgenössische Überarbeitung des Romans Tirano Banderas (Valle-Inclán, 1926) in Form seiner Installation No tengo por qué seguir soñando con los cadáveres que he visto nach einer Idee von Regisseur Cipriano Rivas Cherif - einer Darstellung der rebellischen und kämpfenden Frauen, die ebenfalls Opfer der im Roman beschriebenen Tyrannei und Gewalt waren.

Bildnachweis:

José Clemente Orozco, Der Tyrann, 1947. Sammlung Museo de Arte Moderno. INBAL/Secretaría de Cultura. © Erben von José Clemente Orozco, 2024